C. Koslofsky u.a. (Hrsg.): A German Barber-Surgeon in the Atlantic Slave Trade

Titel
A German Barber-Surgeon in the Atlantic Slave Trade. The Seventeenth-Century Journal of Johann Peter Oettinger


Herausgeber
Koslofsky, Craig; Zaugg, Roberto
Reihe
Studies in Early Modern German History
Erschienen
Charlottesville 2020: University of Virginia Press
Anzahl Seiten
121 S.
von
Melina Teubner

Mit dem vorliegenden Band machen Craig Koslofsky und Roberto Zaugg das Reisetagebuch eines im Sklavenhandel des 17. Jahrhunderts tätigen barber-surgeons aus dem kleinen Dorf Orendelsall (im heutigen Baden-Württemberg) im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation einem breiten Publikum verfügbar. Der historische Quellenwert ist dabei als sehr hoch einzuschätzen. So gibt es nur recht wenige Berichte aus erster Hand von Personen, die in unteren und mittleren Positionen der Hierarchie des Geschäftes unmittelbar am Sklavenhandel beteiligt waren und die ihre Schilderung darüber hinaus nicht nur auf die Zeit an Bord beschränken. Koslofskys und Zauggs Veröffentlichung lässt sich damit zwei aktuellen Forschungsströmungen zuordnen. Zum einen leistet sie einen Beitrag zu einer räumlich umfassenderen Untersuchung des Sklavenhandels, in die nun auch Regionen einbezogen werden, die zunächst nicht als zentral für dieses Geschäft galten (in diesem Fall das Heilige Römische Reich deutscher Nation), um damit dessen Reichweite und die globalen Verflechtungen des 17. Jahrhundert zu verdeutlichen. Zum anderen lässt sie sich einer Reihe jüngerer Veröffentlichungen zuordnen, in denen jeweils die Lebensgeschichte von subalternen (Sklavenhandelspersonal und Verschleppte) Personen im Kontext des Sklavenhandels erforscht wird. Der transkribierte, ins Englische übersetzte und in den Fussnoten sehr sorgfältig kommentierte Reisebericht (S. 1–71) des Johann Peter Oettinger nimmt den grössten Raum des Buches ein. Er bietet hochinteressante Einblicke in den Sklavenhandel, in den Mikrokosmos Sklavenschiff und die Lebenswelt sowie in die Wissensbestände eines barber-surgeons des 17. Jahrhunderts und liefert zudem präzise Beschreibungen verschiedener in den Sklavenhandel verwickelter Regionen in der Karibik und an der westafrikanischen Küste. Die Kommentierung ermöglicht es auch einem breiten Publikum, dem Text ohne Probleme folgen zu können. Die kommentierte Quelle wird durch eine sehr ausführliche Einleitung (S. XV–LXXXIII) sowie ergänzende Dokumente und Quellen zum Sklavenhandel erweitert. Abgerundet wird der Band durch zusätzliche Literaturhinweise sowie einen Index.

In ihrer Einleitung ordnen Koslofsky und Zaugg den Lebensweg Johann von Oettingers in die Hintergründe der Zeit ein. Hier finden sich viele grundsätzliche Informationen über den Sklavenhandel des 17. Jahrhunderts und zu seiner spezifischen Struktur. Zudem werden die verschiedenen Räume vorgestellt, die Oettinger in seinen 14 Jahren der Wanderschaft besuchte. Über diese Aspekte hinaus wäre ein Abschnitt zum Atlantik selbst als wichtigen Raum der Geschichte, sowie zu der Arbeit und den Hierarchien an Bord noch denkbar gewesen. In diesem Teil greifen die Autoren vor allem auf Forschungsliteratur, weitere Quellen und die Daten der grössten Datenbank der Sozialgeschichte (Trans-Atlantic Slave Trade Database) zurück. Darüber hinaus wird auf die Geschichte der Quelle und ihre erste Veröffentlichung 1885 unter dem Titel «Unter kurbrandenburgerischer Flagge: Deutsche Kolonialerfahrungen vor zweihundert Jahren» eingegangen, die sich als Versuch der Instrumentalisierung der Geschichte Oettingers als Teil der deutschen Kolo nialgeschichte begreifen lässt, die vom damaligen Herausgeber unter sichtbarem Einfluss von Werken der Kolonialliteratur stark verändert und um Stereotypen ergänzt worden war, die im ursprünglichen Bericht nicht vorkamen. Die nun von Koslofsky und Zaugg transkribierte und übersetzte Abschrift aus dem Geheimen Staatsarchiv Preussischer Kulturbesitz ist ebenfalls eine Abschrift des Originals, das bis heute als verschollen gilt. Gerade an diese Editions- und Veröffentlichungsgeschichte anknüpfend, eröffnen sich Möglichkeiten, den Band in instruktiver Weise in der Lehre einzusetzen, denn besonders um Studierende an eine kritische Quellenlektüre heranzuführen, scheint mir die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Ausgaben des Textes und der Veröffentlichungsgeschichte sehr geeignet. Die Dokumente im Anhang aus Feder von Gouverneuren, Sklavenschiffskapitänen und Missionaren ergänzen den Bericht sehr anschaulich. Leider wurde hier jedoch die Möglichkeit verpasst, die Perspektive der Verschleppten miteinzubringen. Auch wenn wir mit Oettinger die Erfahrungen eines, wie die Autoren ihn bezeichnen, «Subalternen» lesen können, repräsentiert er doch sicher nicht die Erfahrungen der Sklavinnen und Sklaven, die jedoch manchmal durchaus greifbar sind. So wäre es möglich gewesen, diese Perspektive zu erweitern, etwa mit dem Abdruck eines exemplarischen Briefes der ehemaligen Sklavin Damma, die als Oettingers Zeitgenossin auf der Insel St. Tomas lebte und deren Briefe von Koslofsky und Zaugg in ihrer Einleitung als wichtige Quelle für den Prozess der Kreolisierung erwähnen. Diskussionen mag die Verwendung der Differenzkategorie race provozieren, die, wie die Autoren überzeugend zeigen können, in Oettingers Bericht als fluide Differenzkategorie neben anderen benutzt wurde. Im Gegensatz dazu gehen die Autoren mit Blick auf die Plantagengesellschaften, von einer starren Nutzung dieser Kategorie aus: «They [die Plantagengesellschaften] were also the first societies in history governed by laws in which «white» and «black» were legal categories», wobei dann auch Brasilien als Beispiel aufgeführt wird. Für Brasilien lassen sich diese aus dem US-amerikanischen Rechtssystem übernommenen Kategorien jedoch nicht ohne Weiteres übertragen, denn «white» und «black» waren hier nie rechtliche Kategorien. Dieser Befund gilt auch für die spanische Karibik des 17. Jahrhunderts. Im späten 18. Jahrhundert scheiterte sogar der Versuch, diesen Kategorien Gesetzeskraft zu geben. Es wäre also noch zu fragen, wie die Kategorie race, je nach Zeit und dem Ort genutzt wurde und ob die Benutzung nicht auch in den Ländern mit Plantagensklavereien fluider waren, als es die Autoren annehmen. In diesem Rahmen bieten sich weitere Anknüpfungspunkte für künftige Forschungsarbeiten. Für eben diese sowie für Forschende, die sich für den Sklavenhandel des 17. Jahrhunderts, die Arbeiter dieses Geschäftes und die kulinarischen und medizinalen Praktiken an Bord interessieren, bildet die wichtige Veröffentlichung Koslofskys und Zauggs nun einen unverzichtbaren und struktiven Beitrag.

Zitierweise:
Teubner, Melina: Rezension zu: Koslofsky, Craig; Zaugg, Roberto: A German Barber-Surgeon in the Atlantic Slave Trade, The Seventeenth-Century Journal of Johann Peter Oettinger, University of Virginia Press, 2020. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 72 (2), 2022, S. 284-285. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00108>.

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